Bewegungen sichten
2020/21
Videoinstallation
Film: 20 min
Zeichnungen
verschiedene Materialien und Größen
„Vor ihrer künstlerischen Laufbahn studierte Al-Sindy Biologie und Chemie. Zu diesem Teil ihrer Ausbildung gehörte auch das Zeichnen von wissenschaftlichen Illustrationen, eine Grundlage, die wiederum ihr zeichnerisches Schaffen maßgeblich prägt. (…)
Die Arbeiten haben zwei Gemeinsamkeiten: Sie sind zum einen allesamt im Freien entstanden. Zum anderen widmet sich die Künstlerin in ihnen der Vegetation und ihren Prozessen.
Al-Sindys neue Werkgruppe »Spuren« (2021) besteht erneut aus mehreren Zeichnungen und einem Video, in dem ihre Entstehung eingefangen ist. In einem Forst, an dem ebenfalls der Einfluss des Menschen absehbar ist, überträgt die Künstlerin die Ausbreitung des Wurzelwerks im Boden auf Papierbahnen, wobei ihre Zeichnungen nicht nur auf der visuellen Beobachtung, sondern auch der taktilen Erfahrung des Ertastens der Erdoberfläche basieren. Durch Baumbeschnitt kam es auch hier zu Beschädigungen und Kappungen der Wurzeln. In ihren Zeichnungen spürt Al-Sindy damit auch der Kommunikation der Bäume mit ihren abgeschlagenen unterirdischen Teilen nach, Vorgänge, die erst seit kurzem in der Biologie erforscht werden.
Bilder der Erinnerung, Reaktionen in unserem Kopf, Verwesungsprozesse im Boden, Ablagerungen der Geschichte, pflanzliches Wachstum sowie die Kommunikation und die Selbstheilungskraft der Natur – in ihren Werken schafft es die Künstlerin Havin Al-Sindy, diese unsichtbaren Vorgänge sichtbar zu machen. Damit macht sie uns bewusst, nicht allein einem Sinn – nämlich dem Sehsinn – bei unserer Sicht auf die Wirklichkeit zu vertrauen, sondern auch zu bedenken, dass es Vorgänge gibt, die jenseits unserer (begrenzten) Wahrnehmung liegen.“
Text: Sven Beckstette